Art of Devaud

Ideen für Buddha – aus dem Hunsrück

Erschienen in der Nahe-Zeitung vom 23. Februar 2013, Journal Porträt Seite 3 (Original anzeigen) – Autor: Jörg Staiber

An betende Hände erinnert die Form des 148 Meter hohen Monuments im Zentrum der Tempelanlage. Als Reliquie beherbergt es Fingerknochen Buddhas. Um den Bau herum lässt die chinesische Regierung eine riesige Parkanlage, das World Zen Meditation Center, errichten. Foto: Privat

Als maßgeblicher Berater ist der im Hunsrück lebende Schweizer Künstler Philippe Devaud an der Entstehung der weltgrößten buddhistischen Tempelanlage beteiligt.

Wie kommt ein in einem Hunsrückdorf lebender Künstler Schweizer Nationalität dazu, das größte buddhistische Heiligtum in wichtigen Aspekten mitgestalten zu dürfen? Der Weg dorthin ist wohl genauso verschlungen, von Zufällen geprägt und manchmal auch rätselhaft wie der Lebensweg des Künstlers selbst.

Philippe Devaud wird 1955 in Zürich geboren, der Vater ist Grafiker, die Mutter Fotografin, beide Großväter malten nebenberuflich. Nach der Schule macht er eine Ausbildung zum Architekturmodellbauer und Restaurator. Gleichzeitig zieht es den nachdenklichen wie abenteuerlustigen jungen Mann in die Welt. Er trampt durch ganz Europa. „Seit meinem 17. Lebensjahr übte ich Hatha-Yoga“, berichtet er. „Ich habe auch immer nach dem Sinn hinter den Dingen gesucht.“

Nach der Ausbildung bildet er sich weiter, als Restaurator, im Aktzeichnen an der Kunstgewerbeschule oder im experimentellen Gestalten an der Freien Kunstschule „Farbe und Form”. 1981 dann ein dramatischer Wendepunkt in seinem Leben: Sein Haus brennt, er verliert Hab und Gut und große Teile des Frühwerkes, die Ehe scheitert, er verlässt Zürich. 1983 gründet er im Hunsrück eine Familie mit heute drei Kindern. Er bekommt den Auftrag, die Restaurierung der evangelischen Kirche in Niederbrombach zu vollenden. Der Auftrag gestaltet sich aufwendig und dehnt sich auf vier Jahre aus. Er stellt fest, dass es dort in der ländlichen Region große leer stehende Räumlichkeiten gibt – ideal für ihn, denn Devaud will sich als freier Künstler selbstständig machen, seine Leidenschaft gilt auch überaus großflächigen Werken.

Der Kosmopolit fühlt sich dort auch durchaus nicht von der Welt abgehängt. „Der Hunsrück ist zwar Provinz, aber ich kann hier als Künstler von meinen Arbeiten leben“, sagt er. „Gleichzeitig befinden wir uns mitten im Herzen Europas.“

Seit 1987 lebt Devaud ausschließlich von seiner Arbeit als freischaffender Künstler. Den Weg weist ihm auch seine aufgrund des ständigen Umgangs mit chemischen Lösungsmitteln angeschlagene Gesundheit. Ein Chemiker hilft mit dem Satz: „Das Lösungsmittel für den Menschen ist das Wasser.“ Danach mischt er seine Pigmente überwiegend mit wässrigen Bindemitteln an. Für seine Aquarelle, welche immer größer werden, genügen die handelsüblichen Papierformate nicht mehr. Ein Jahr lang experimentiert er, um sein eigenes Papier herstellen zu können, und gibt ihm schließlich den Namen Hanakami, weil er damit uralte Techniken asiatischer Papierherstellung aufgreift. Besonderheiten seiner Maltechnik führen zu Lehrtätigkeiten an der New York Academy of Art.

Es gelingt Devaud international einen Kreis von Sammlern anzusprechen. Neben seinen großformatigen, stilistisch oft am Fotorealismus angelehnten Arbeiten bezieht er bei der Kunst am Bau verschiedene andere Materialien wie künstlichen Nebel und Glas in sein Schaffen ein. So bekommt er einen Auftrag vom schweizerischen Glashersteller Euro-Glas Trösch für ein Werk in dessen Eingangshalle. Ein zwei mal vier Meter großes Feuerbild, eingeschlossen in Brandschutzglas, entsteht. Seine internationalen Kontakte führen ihn auch in die russische Metropole St. Petersburg, die ihn zu riesigen Panoramabildern inspiriert.

Dort begegnet er dem taiwanesischen Stararchitekten Charles Phu, der die zurzeit markantesten modernen Gebäude in St. Petersburg entworfen hat: das Oxta Center für Gazprom mit einer Höhe von 463 Metern, das Museum für moderne Kunst, eine Konzerthalle und die neue Oper. Für China entwirft Phu Großbauten wie den Turm des China World Trade Center III (330 Meter) und die Financial Street in Peking.

Devaud und Phu empfinden auf Anhieb Sympathie füreinander und entwickeln erste gemeinsame Projekte. 2010 übernimmt Devaud für die Welturaufführung der Oper „Sonya’s Story“ nach Anton Tschechows Schauspiel „Onkel Wanja“ die Beratung und Teile des Bühnenbildes, mit dem Phu zuvor beauftragt worden war. Im folgenden Jahr assistiert er Phu bei der Ausarbeitung der Bühnenbildeffekte anlässlich des 100. Geburtstages der russischen Ballettikone Galina Ulanova für die Englische Nationaloper in London.

In diesen Jahren geschieht in China etwas Ungewöhnliches, das aber hierzulande kaum Beachtung findet. Das liegt sicher auch daran, dass vieles, was in China passiert, für Mitteleuropäer kaum nachvollziehbar ist. Die Größe des Landes, seine 3000-jährige Geschichte, die unvorstellbare Zahl von 1,3 Milliarden Einwohnern, aber vor allem die Mentalität der Menschen mit diesem merkwürdigen gesellschaftlichen System, von dem man nicht so genau weiß, ob es nun ein zentral gesteuerter kapitalistischer Kommunismus ist oder ein sich anarchisch entwickelnder kommunistischer Kapitalismus. Ein System auf jeden Fall, mit dem das einstige Entwicklungsland in den vergangenen Jahrzehnten ein fast unbegreifliches Wirtschaftswachstum erreicht hat.

Konfuzius bestimmt das öffentliche Leben

Doch ein gigantisches Projekt ist möglicherweise das Vorzeichen für eine Zeitenwende im Riesenreich. Dazu muss man zunächst einen Blick auf die Geistesgeschichte Chinas werfen. Mehr noch als eine kommunistische oder kapitalistische Ideologie bestimmen die 2500 Jahre alten Lehren des Konfuzius mit ihren stark am reibungslosen Funktionieren von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft ausgerichteten Grundsätzen das Leben. Spiritualität und andere Glaubensrichtungen, wie der etwa in China geschichtlich und zahlenmäßig sehr gewichtige Buddhismus, werden oft nur geduldet, häufig sogar unterdrückt.

Vor etwa zehn Jahren begann die chinesische Regierung damit, rund um den nach Naturkatastrophen fast völlig zerstörten Famen-Tempel eine riesige Anlage zu errichten. Der Mittelpunkt – ein 148 Meter hohes Monument des Architekten C. Y. Lee, in dem ein Tempel mit der zentralen buddhistischen Reliquie, dem Fingerknochen Buddhas, sowie ein Museum mit zahllosen Schätzen untergebracht sind – ist bereits fertiggestellt. Diese Anlage wiederum wird den Mittelpunkt einer neu entstehenden Stadt mit mehreren Hunderttausend Einwohnern bilden, die mit zahlreichen kulturellen Einrichtungen wie Museen, Bibliotheken und Konzerthäusern einmal ein wichtiges geistiges Zentrum werden soll.

Der achtfache Pfad des Buddhas

Um den Tempel entsteht das World Zen Meditation Center mit einer Fläche von 1,23 Millionen Quadratmetern. Davon ist fast die Hälfte (522 669 Quadratmeter) als Park dem achtfachen Pfad Buddhas nachempfunden. Für die architektonische Gestaltung des Tempelparks und seiner umliegenden Gebäude wurde ein in China hoch geachteter Architekt verpflichtet, der dort schon eine Reihe von bedeutsamen Bauwerken geschaffen hat: Charles Phu. Der wiederum hat Devaud ins Boot geholt: als formgebenden Berater und maßgeblichen Ideengeber für die Gestaltung des interaktiven zen-buddhistischen Pfades.

In gewisser Weise setzt sich damit für Devaud die spirituelle Sinnsuche fort, die ihn schon seit seinen jugendlichen Wanderjahren begleitet – auf einer höheren Ebene allerdings. „Wenn die chinesische Regierung ein solches Projekt in Angriff nimmt, dann ist das von sehr weitreichender politischer und gesellschaftlicher Bedeutung“, ist der Künstler überzeugt. „Ich glaube, dass man erkannt hat, dass das heutige wirtschaftliche System, das rein auf materielles Wachstum aus ist, sehr bald an seine Grenzen stoßen wird, nicht zuletzt aus ökologischen Gründen. Stattdessen wird der Zen-Buddhismus mit seiner Spiritualität und der Achtung vor der Natur wieder stärkeren Einfluss bekommen.“

Wissenswert

Am Ziel einer Sinnsuche: Der im Hunsrück lebende Künstler Philippe Devaud ist formgebender Berater und Ideengeber für einen zen-buddhistischen Pfad, ein zentrales Element der Tempelanlage. Foto: Jean-Claude Dirckx

Heiligtum von Weltrang

Der Famen-Tempel geht auf das zweite Jahrhundert nach Christus zurück, und ist eines der wichtigsten Heiligtümer des Buddhismus in China. Es befindet sich in der zentralchinesischen Provinz Shaanxi, 120 Kilometer westlich von Xi’an, wo das Grabmal des ersten chinesischen Kaisers Qín Shuángdì mit der berühmten Terracotta-Armee entdeckt wurde. Der Tempel hat für Buddhisten einen Stellenwert, der mit dem von Mekka für den Islam oder dem Petersdom für katholische Christen vergleichbar ist. Die 1609 in der Ming-Dynastie erbaute 13-geschossige Ziegelpagode, der Mittelpunkt der frühen Klosteranlage Famen, wurde 1978 bei einem Erdbeben schwer beschädigt und stürzte schließlich 1981 halbseitig ein. Bei den darauffolgenden Ausgrabungen wurden in einer großen unterirdischen Anlage vier aufgebahrte Fingerknochen Buddhas sowie zahlreiche weitere Schätze, die zum Teil aus dem 7. Jahrhundert stammen, gefunden: Gold, Silber, Jade, Porzellan und seltene Seiden mit Goldfäden. Der neue Tempel ist 148 Meter hoch und erinnert an die Form betender Hände, wie sie im Buddhismus üblich sind.

Erschienen in der Nahe-Zeitung vom 23. Februar 2013, Journal Porträt Seite 3 (Original anzeigen) – Autor: Jörg Staiber